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Künstliche Chromosomen

Von 1999 bis 2002 habe ich im Rahmen meiner Doktorarbeit im Humangenetischen Institut der LMU-München gearbeitet. Das Ziel unserer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Dr. Dirk Schindelhauer ist es, künstliche Chromosomen (MACs: Mammalian artificial chromosomes, HACs: Human artificial chromosomes) zu konstruieren, die ohne Selektion stabil in menschlichen Zellen repliziert und deren Gene je nach Zelltyp reguliert transkribiert werden.

Wozu braucht man künstliche Chromosomen?

Hat man Methoden entwickelt, um solche künstlichen Chromosomen herzustellen, so kann man sie einerseits benutzen, um die bisher noch recht unbekannten Strukturen und Mechanismen zu erforschen, welche ein natürliches Chromosom ausmachen. Durch Tests mit unterschiedlichen Genkonstrukten kann man zum Beispiel herausfinden, welche DNA-Sequenzen für bestimmte Funktionen der natürlichen Chromosomen, wie zum Beispiel die Replikation, die Segregation oder die Transkription notwendig sind, und ob wirklich ein großer Teil des menschlichen Genoms wie so oft behauptet wird »DNA-Müll« ist.

Ein anderer wichtiger Grund, warum man versucht künstliche Chromosomen herzustellen, ist jedoch der, daß man hofft damit eine funktionierende Gentherapie für Erbkrankheiten wie zum Beispiel Mukoviszidose entwickeln zu können. Bisherige Ansätze der Gentherapie beruhten darauf, daß man nur die kodierenden Sequenzen (Exons) der bei den Erkrankten defekten Gene in großer Zahl in Körperzellen eingeschleust hat. Nachdem diese Genschnipsel zum Beispiel durch Viren in die Zellen gebracht wurden, hoffte man, daß sie in das vorhandene Genom eingebaut, transkribiert und translatiert werden und damit die Zellen ein funktionierendes Protein herstellen könnten. Dies scheiterte unter anderem jedoch daran, daß die Zellen aufgrund der viralen Proteine abgestoßen werden oder an toxischen Virenproteinen zugrunde gehen. Außerdem wird ein Großteil der eingebrachten DNA von den Zellen als fremd oder defekt betrachtet und deshalb abgebaut, und die eingebrachte DNA wird bei der Zellteilung auch nicht auf die beiden Tochterzellen aufgeteilt, sondern geht im Verlauf einiger Zellteilungen verloren. Diejenige DNA, die tatsächlich in das zelleigene Genom eingebaut wurde, landete irgendwo in nichttranskribierten, inaktiven Bereichen (Heterochromatin) oder innerhalb anderer wichtiger Teile des Genoms deren Funktion dadurch gestört werden könnte. Eine stabile und kontrollierte Genexpression wurde trotz vieler Versuche bisher nicht erreicht.

Einige dieser Probleme hofft man nun durch künstliche Chromosomen umgehen zu können. Dadurch, daß diese an den Enden mit Telomeren ausgestattet sind, will man verhindern, daß sie von der Zelle für Bruchstücke kaputter DNA gehalten werden und abgebaut oder an irgendeiner Stelle des Genoms eingebaut werden. Durch Centromere werden diese Chromosomen bei jeder Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben und können somit quasi vollständig autonom in den Zellen existieren. Eine Regulation der Genexpression will man dadurch erreichen, daß nicht nur die Exons, d.h. die kodierenden Bereiche eines Gens, sondern das gesamte Gen inklusive der Introns in die Zellen eingeschleust wird. Dadurch hofft man auch die regulatorisch wirksamen Bereiche der DNA in die Zellen zu transfizieren und somit eine kontrollierte Genexpression zu erreichen.

Ein Gen mit dem wir unsere Versuche machen ist deshalb auch das CFTR-Gen, dessen Defekt für die in Europa am häufigsten vorkommende Erbkrankheit, die Mukoviszidose (=Cystische Fibrose) verantwortlich ist, an der ca. jedes 2000. Neugeborene leidet. Schafft man es über ein künstliches Chromosom ein intaktes CFTR-Gen in die Zellen von Erkrankten zu bringen, das in den Lungen- und Pankreaszellen exprimiert wird, so besteht die Möglichkeit, daß es dadurch zu einer langanhaltenden Besserung des Zustands der Patienten kommt.

Eine weitere Möglichkeit, welche die Gentechnik bietet, ist die Produktion von Arzneimitteln durch sogenannte transgene Nutztiere. Man schleust in die Eizelle eines Tieres ein menschliches Gen ein, das dort in das Genom des Tieres integriert wird. Das Tier produziert dann zum Beispiel in seiner Milch ein Protein, das zur Behandlung von Krankheiten notwendig ist. Das erste transgene Nutztier, das einen rekombinanten Arzneistoff (Alpha-1-Proteinasen-Inhibitor) in der Milch produzierte war das Schaf Tracy. Ein Problem bei diesen Versuchen ist auch hier, daß der Transfer und der Einbau an zufälligen Stellen in das Genom ein ineffizienter Vorgang ist und deshalb aus vielen befruchteten Eizellen nur sehr selten ein Tier heranwächst, das wirklich den gewünschten Arzneistoff produziert. Problematisch wird das vor allem, wenn man zum Beispiel versucht eine transgene Kuh zu erzeugen, da hier von der Mikroinjektion des Gens bis zur ersten Milch ein ganzes Jahr vergeht. Auf der anderen Seite hat jemand mal ausgerechnet, daß eine einzige transgene Kuh den kompletten Jahresbedarf der USA an Blutgerinnungsfaktor VIII decken würde, wofür jetzt noch eine Million Liter humanes Blutplasma notwendig wären. Mit künstlichen Chromosomen könnte man die Erfolgsquote bei derartigen Methoden vielleicht erheblich verbessern, da man sie über Mikroinjektion direkt in die Zellkerne einschleusen kann und sie nicht in das Tiergenom integriert werden müssen.

Warum ist das so kompliziert?

Ein großes Problem bei der Entwicklung von künstlichen Chromosomen ist, daß die DNA sehr lang (bis zu mehreren Mega-Basen) und deshalb nicht gerade leicht zu handhaben ist. Man kann sie beispielsweise nicht pipettieren, da sie durch die auftretenden Scherkräfte sofort auseinanderbrechen würde. Deshalb werden Bakterien in Agarose-Blöckchen gegossen und anschließend alle Proteine wegverdaut, so daß am Ende nur noch die DNA aus den Bakterien übrigbleibt (Das sieht dann aus wie viereckige Gummibärchen). In den Blöckchen ist die DNA dann zwar stabil aufzubewahren und zu handhaben, durch die Agarose werden aber alle enzymatischen und chemischen Reaktionen erschwert, da die Enzyme erst einmal in die Blöckchen hineindiffundieren müssen, und man sie danach auch wieder herausbekommen muß.

Außerdem bestehen sowohl die Telomere als auch die Centromere aus repetitiven Sequenzen, was den Umgang mit der DNA erheblich erschwert. Bakterien und vor allem die Hefe, die gerne für die Vermehrung langer DNA benützt wird, besitzen zum Beispiel die dumme Angewohnheit, daß sie repetitive Sequenzen gerne »verlieren«. Noch dazu kann man diese repetitive DNA nicht ohne weiteres über eine PCR vervielfältigen oder sequenzieren, da sich die dafür notwendigen Primer an allen Repeats anlagern würden und somit das PCR-Produkt nie spezifisch ist, sondern eine Mischung aus allen Repeats.

Ein anderes Problem ist, daß sich derart lange DNA nicht mehr in Viren verpacken läßt. Deshalb muß man sich für eine Gentherapie andere Mechanismen überlegen, um die DNA in menschliche Zellen einzuschleusen. Eine Möglichkeit die gerade erforscht wird sind Bakterien, die in Zellen eindringen, dort dann zerplatzen und somit das künstliche Chromosom, daß sie mit sich führen freigeben. Außerdem wird versucht künstliche Vesikel aus Lipiden und Proteinen zu erzeugen, in welche die DNA verpackt wird, und dann über Rezeptoren von den Zellen aufgenommen wird.

Und was mach ich jetzt eigentlich genau?

Ich untersuche die Centromersequenzen, d.h. diejenigen Bereiche an denen das Chromosom während einer Zellteilung als letztes zusammenhängt und an denen der Spindelapparat ansetzt, der die beiden Chromatiden auseinanderzieht. Ziel ist es herauszufinden woraus ein Centromer eigentlich besteht und womit man am besten Centromere für künstliche Chromosomen »basteln« kann.

Bis jetzt ist aber noch nicht einmal klar, was genau ein Centromer eigentlich ausmacht. Beim Menschen bestehen sie aus einer großen Anzahl von sogenannten alpha-Satelliten-Monomeren, also Sequenzen von ca. 171 Basen die sich ständig wiederholen. Diese Wiederholungen sind jedoch nicht völlig identisch sondern zeigen geringe Unterschiede. Die 171 Basenpaare langen Repeats wiederum sind in einer ganz bestimmten Art und Weise aneinandergereiht, so daß sich hier je nach Chromosom wieder Sequenzabschnitte unterschiedlicher Länge ergeben. Die Centromere vom X-Chromosom zum Beispiel bestehen zum größten Teil aus 12meren von alpha-Satelliten-DNA wodurch Fragmente entstehen die circa 2 Kilobasen lang sind. Innerhalb der alpha-Satelliten-DNA gibt es sogenannte CENP-B boxes. Das sind ganz bestimmte (aber auch nicht immer völlig identische) Sequenzen von 17 Basenpaaren Länge, an welche das Centromere binding protein B (CENP-B) bindet. Centromer bindende Proteine spielen möglicherweise eine wichtige Rolle bei der Ausbildung der Centromere während der Zellteilung. Außer CENP-B Protein gibt es aber auch noch CENP-A, CENP-C, CENP-E und viele weitere Proteine die an Centromeren vorkommen, aber scheinbar keine bestimmten Sequenzmotive für ihre Anbindung benötigen. Es wurden aber auch schon sogenannte Neo-Centromere gefunden, welche eine völlig andere Sequenz ohne CENP-B boxes besitzen und trotzdem funktionieren. Das ganze ist also tatsächlich so verwirrend wie es sich anhört, da nämlich noch nicht einmal klar ist, ob die Ausbildung eines Centromers überhaupt von einer spezifischen Sequenz abhängt, oder ob irgendeine Sequenz einfach nur bestimmte andere Eigenschaften haben muß, damit Centromere gebildet werden.

Elektrophoresegel Konkret sieht das ganze so aus, daß man eine halbe Stunde lang irgend etwas zusammenpipettiert, dann einige Stunden oder auch mal Tage wartet und schließlich ein Bild mit DNA-Banden auf einem Elektrophoresegel wie dem links erhält. Dann hockt man meistens verzweifelt da und überlegt , warum zum Teufel der Mist schon wieder nicht so funktioniert hat, wie er eigentlich sollte.

Falls sich jemand für so etwas interessiert und er bei meinem Geschreibsel nur Bahnhof versteht: hier gibt es genauere Informationen:

Analyse von Zentromer-DNA für die Erzeugung künstlicher ChromosomenEin Resultat der Anstrengungen: Meine Dissertation
Künstliche Chromosomen: Zwischen Mikroskop und Reagenzglas, Einsichten: Forschung an der LMU Ausgabe 1/99Ein Artikel von Dirk Schindelhauer über künstliche Chromosomen in der LMU-eigenen wissenschaftlichen Zeitschrift.
Dirk Schindelhauer, Tobias Schwarz: Evidence for a Fast, Intrachromosomal Conversion Mechanism From Mapping of Nucleotide Variants Within a Homogeneous alpha-Satellite DNA Array. Genome Research, 2002, 12: 1815-1826.Abstract
Dirk Schindelhauer: Construction of mammalian artificial chromosomes: prospects for defining an optimal centromere. BioEssays 21.1Abstract
Evan E. Eichler: Repetitive conundrums of centromere structure and function. Human Molecular Genetics, 1999, 8:2Abstract